Das Buch des Schmugglers – Ein Halbweltroman

ISBN:
978-3-931624-37-8

Inhaltsverzeichnis:

1. Ganz in grau
2. Vorwärts per Schenkelkraft
3. Interkontinental-Job
4. Eine Tonne Euphorie
5. Starkwind kommt auf
6. Sweet Home Berlin Westend
7. Hoch im Norden
8. Lang lebe die Schweiz
9. Dame im Spiel
10. Blühende Geschäfte
11. Leere Räume
12. Die weiche Stelle
13. Sand im Getriebe
14. Muckefuck & Margarine
15. Spanische Blumen
16. Serotonin galore
17. Der Strippenzieher
18. Zurück im Berliner Groove
19. Misstrauen bringt Wechsel
20. Am Ziel
Epilog
Die Top-Alben von DP und Dombrowski

Cover vom Buch des Schmugglers

VÖ: August 2006

Seiten:
240 (gebunden)

Sprache: deutsch

Preis: 14,90 Euro

Textauszüge:

Wenig später hatte er sein nächstes Ziel erreicht, das Café Gott in Schöneberg. Er fand einen freien Tisch auf dem Bürgersteig neben dem Eingang. Sofort fiel im die ungewöhnlich hübsche, zierliche Kellnerin ins Auge. Sie trug ein rückenfreies Top, das nur von je einem Bändchen um Hals und Hüften gehalten wurde. So war der Blick frei auf ein riesiges Tattoo, das den gesamten Rücken bedeckte. Es zeigte eine kräftige Schlange, die sich um einen roten Apfel ringelt. DP war beeindruckt, das Mädchen erschien ihm unendlich taff und sexy. Routiniert nahm sie seine Bestellung auf, ebenso routiniert schenkte sie ihm ein kurzes Lächeln und eilte zum Tresen. In bestimmten Bezirken der Stadt waren Tättowierungen sehr populär, aber so ein kühnes Werk trugen die wenigsten auf dem Körper. DP erinnerte sich daran, dass er sich selbst ein Hautbild stechen lassen wollte, allein ihm fehlte ein treffendes Motiv. Vielleicht den Titel des Chuck Berry-Songs "You Can´' Catch Me" oder "Elvis" wie Li An. Geschriebene Worte waren jedoch langweilig, er suchte nach dem passenden Bild zu seinem Leben. Eine geöffnete Grenzschranke auf dem Oberarm, fantasierte er und musste grinsen.

Der Cappuccino im Café Gott war ausgezeichnet, das heiße Gemisch aus vollem Espresso-Aroma und geschäumter Milch steigerte seine Laune weiter. Der Puls erhöhte sich sanft, mit ungewohnter Neugier entwickelte er plötzlich Interesse für seine Nachbarn. Zwei Frauen unterhielten sich plappernd über ihr Fitnessprogramm, einen Tisch weiter schrieb ein älterer Typ konzentriert Notizen in ein Buch mit gewellten Seiten. Viele Gäste streckten einfach nur ihre Gesichter der sinkenden Sonne entgegen, die langsam eine gold-orangene Farbe annahm. DP griff zur Zeitung und studierte die Nachrichten. Er hatte die Weltpolitik in den letzten Tagen nicht verfolgt, der alarmierende Tonfall der einzelnen Artikel beunruhigte ihn, auch wenn er wusste, dass dieser Ton nun mal zur Verkaufsstrategie der Medien gehörte. Keine einzige Meldung handelte von aufgeflogenen Schmugglern, stellte er fest. Nicht einmal kleine Fische waren den Fahndern ins Netz gegangen.

Gegen halb neun zahlte er bei der tättowierten Kellnerin, ein großzügiges Trinkgeld inklusive, und begab sich in die Schöneberger Hinterhofwohnung von Dombrowski. Wie immer gab es Kekse und Milchkaffee. Sein Freund sah angespannt aus. Er müsse jetzt immer mehr Aufgaben des Chefs übernehmen, erklärte dieser, bald werde es Zeit für eine Gehaltszulage. DP skizzierte kurz, was er in den letzten zehn Tagen getan hatte, erwähnte jedoch nichts von dem Container. Dombrowski verkniff sich jede Nachfrage und wandte sich stattdessen den CD-Stapeln zu, die - penibel alphabetisch sortiert - diverse Regale füllten. Als erste Platte wählten sie das gleichnamige Debüt der Stone Roses, eine der wichtigsten Scheiben der Achtziger. Die Musik der Manchester-Combo war angenehm leicht mit einem starken Sixties-Einschlag, "Neo-Hippie-Dance-Pop" schlug Dombrowski als Kategorie vor. DP entgegnete das leichtfüßige Werk würde sich sämtlichen Kategorien entziehen, meinte aber heraus zu hören, dass die Musiker damals jede Menge Ecstasy-Tabletten genommen hätten. Während der Dreher lief, redeten sie kaum, wenn einer etwas sagte, dann höchstens zu Musik, Machart und Einflüssen.

[...]

Am Mittwoch saß DP im schwarzen Audi der Firma Car Rent und fuhr mit vorschriftsmäßigen 120 Stundenkilometern die Autobahn Richtung München hinunter. Der Kofferraum war prall gefüllt mit Aktenkoffern. Er hatte eine Liste mit Genfer Adressen dabei, die er, wie immer abzuklappern hatte. Hinzu kam sein eigenes Geld, 50.000 Euro, die er in Berlin aus dem Schließfach geholt hatte. Die Sonne schien vom blauen Himmel herab, DP hatte die Klimaanlage des Wagens voll aufgedreht, es war angenehm kühl im Innenraum. Während die blühende, saftig grüne Landschaft an ihm vorüberflog, grübelte er, welche Frau er als Verbindungsperson zu Nicoletta einsetzen könne. Vielleicht eine alte Liebe? In seinem Bekanntenkreis hatte er die Tendenz beobachtet, dass ehemalige Partner nach Jahren der Trennung wieder zusammenfinden - wie etwa Dombrowski und Linda. Ernüchtert vom "Beziehungsmarkt" waren sie um etliche Illusionen ärmer. DP dachte daran, dass Dombrowski alle Liebesromane und Kitschfilme verbieten lassen wollte, weil sie Illusionen schürten und Unglück schafften. Bei der Rückkehr zu alten Verhältnissen war beiden Partnern klar, was sie erwartete, Platz für Träume gabs freilich keinen mehr. Ganz nach dem Geschmack von meinem alten Freund Dombrowski, dachte er. DP verwarf den Gedanken, alte Flammen wieder zu entzünden, es erschien ihm nicht fair, trügerische Hoffnungen zu wecken. Sicher, er war neugierig, was aus seinen früheren Freundinnen geworden war, doch er entschied sich, beendete Beziehungen ruhen zu lassen.

Li An wollte er aus seinen Geschäften heraushalten. Zum einen aus Respekt, zum anderen, um sich lästige Fragen zu ersparen. Außerdem wollte er sie schützen, je weniger sie wusste, um so besser. Sollte er je ins Fadenkreuz der Fahnder geraten, würden die Beamten sich als erstes mit seiner Freundin befassen, das war klar. Am besten schien ihm seine Tante Annalena geeignet, eine in Ehren ergraute agile Dame, die sich stark in der 68er Studentenbewegung engagiert hatte. Heute lebte die 55jährige vom Sozialamt. Nebenbei arbeitete sie schwarz als Buchhalterin für Kleinstfirmen und besaß einen erstaunlichen Hang zu jungen Männern. Je länger er über sie nachdachte, um so mehr wurde ihm klar, Annalena könnte die richtige sein.

Am frühen Nachmittag hielt DP an einem Rasthof hinter Nürnberg, der offensichtlich bei Fernfahrern beliebt war. Gut hundert Lastzüge standen hier, schätzte DP. Er tankte seinen Wagen voll und suchte sich einen Parkplatz. Der Automaten-Cappuccino in der Raststätte war gewohnt lausig, der Kuchen klebte an der Gabel. Er beobachtete wie dickbäuchige Trucker riesige Berge von Fleisch und Bratkartoffeln vertilgten. Sie aßen wie Schwerstarbeiter, dabei hockten sie lediglich von morgens bis abends am Steuer. Im Hintergrund ertönte schmalzige Countrymusik, die ganz offensichtlich die Laune der zufrieden kauenden Fahrer hob. Nach dem Essen saßen die fetten Fahrer matt auf ihren Holzstühlen und wiegten die Köpfe im sanften Rhythmus der Pedal Steel Guitar. Andere hockten in Gruppen zusammen, tauschten Tipps und Fahrer-Weisheiten aus.

Durch die Drehtür am Eingang kamen ein paar Geschäftsleute in zerknitterten, geschmacklosen Anzügen herein, die DP noch nicht mal zur Tarnung angezogen hätte. Familien mit tobenden Kindern folgten, froh, endlich der öden Enge des Autos entkommen zu sein. Der Anblick dieser Leute gab DP ein Gefühl der Entfremdung, mit diesen Menschen hatte er absolut nichts zu tun. Eine Zeile des österreichischen Liedermachers Georg Danzer kam ihm in den Sinn: "Ich bin überall gewesen und hab nirgendwo dazugehört". Sein Blick fiel auf einen kleinen, brüllenden Jungen, der mit hochrotem Kopf auf seine beiden Eltern einschlug. Freilich reichte er ihnen lediglich bis zu den Knien, seine wilden Schwinger trafen nur ihre Oberschenkel. Offensichtlich hatte der Kleine andere Vorstellungen vom Raststättenbesuch. Die Mutter beugte sich zu ihm herab, streichelte seinen Kopf, worauf sich der schreiende Knirps auf den Fußboden warf und rasend mit den Füßen strampelte.